BNE zur Aufgabe der Erwachsenenbildung machen

Basiswissen

Die Transformation der Einrichtung anstoßen

Viele Bildungseinrichtungen setzen sich mit der Frage auseinander, ob sie zukünftig mehr als bisher über ihre Bildungsangebote zu einem gesellschaftlichen Wandel in Richtung ökologischer, ökonomischer und sozial-kultureller Nachhaltigkeit beitragen wollen. Solange der gesellschaftliche Transformationsprozess offen ist – also derzeit noch niemand wirklich weiß, wie sich das Verhältnis zwischen Mensch und Biosphäre zuverlässig nachhaltig gestalten lässt – lassen sich auch Bildungsorte, die sich der nachhaltigen Entwicklung verschreiben, auf einen offenen Prozess ein.

Wie ein solcher offener Entwicklungsprozess in einer Einrichtung der Erwachsenenbildung gestartet werden kann, wird im Folgenden beschrieben:

„Die große Herausforderung unserer Gesellschaften besteht im tiefgreifenden Umbau der Wirtschaftssysteme und im Wandel der Lebensweise in wenigen Jahren, um die Übernutzung unserer Lebensgrundlagen aufzuhalten und den Wohlstand sozial gerecht zu verteilen. Das Gesamtpaket dieser notwendigen und zum Teil bereits laufenden Veränderungsprozesse wird auch als sozial-ökologische Transformation bezeichnet. Aus der Transformationsforschung wissen wir, dass dieser notwendige Wandel „nicht aus einer großen Transformation (besteht), sondern aus vielen kleinen sequenziell und parallel verlaufenden Transformationsprozessen in verschiedenen Subsystemen, die zu einem Wandel der gesellschaftlichen Entwicklung oder der Systemdynamik führen.“ M. Heitfeld/ A. Reif: Sozialökologische Transformation, in: weiterbilden 2 – 2023, S. 12)

Sozial-ökologische Transformation als Rahmenbedingung
der Transformation der Bildungseinrichtung

Foto: Silke Töpfer

Die strategische Entscheidung einer Einrichtung der Erwachsenenbildung, sich als Teil der sozial-ökologischen Transformation zu verstehen, ist folgenreich. Sie bedeutet für eine Einrichtung der Erwachsenenbildung, Bildungsort in einem starken Spannungsfeld zu sein: in einem sehr fluiden Umfeld zu einem Lernort zu werden, der für die Bürgerinnen und Bürger einen sicheren und vertrauensförderlichen Rahmen darstellt, um zu Fragen des persönlichen Lebensstils und des gesellschaftlichen Zusammenlebens nach verantwortlichen Lösungen für morgen und für weltweit zu suchen. Zugleich bedeutet dies, die Widersprüchlichkeit und die Offenheit der Themen in diesen Lernort hereinzulassen und bisherige Sicherheiten in Frage zu stellen.

Diese Ausgangsbeschreibung für einen Veränderungsprozess in einer Bildungseinrichtung macht deutlich, dass die Reichweite einer solchen Veränderung innerhalb der Einrichtung selbst beträchtlich sein wird: Es geht darum, nicht nur Angebote und Abläufe zu verändern, sondern Rolle, Selbstverständnis und Grundhaltungen in einen neuen Einklang zu bringen.

Presencing als Weg

Für einen solchen tiefgehenden Veränderungsprozess ist in der Organisationsentwicklung ein Vorgehen entwickelt worden, das Presencing genannt wird. Orientierung bieten die Gedanken von Friedrich Glasl und Otto Scharmer. F. Glasl: Professionelle Prozessberatung, Stuttgart 2005 / O. Scharmer: Theorie U – Von der Zukunft her führen, Heidelberg 2009

Presencing bedeutet, dass man sich auf das Wesentliche konzentriert und die Bereitschaft entwickelt, dem wirklich Wichtigen eine Chance zu geben. Die Ausgangsfrage würde also lauten: Wollen wir als Erwachsenenbildung Teil der Suche nach einem nachhaltigen Leben sein und unsere Arbeit so gestalten, dass wir mit unseren Lernenden zusammen Antworten finden?

Die Schritte auf dem Weg

Ein Transformationsprozess in Form des Presencing erfasst alle drei Subsysteme einer Organisation:

1. das technisch-instrumentelle System, das u.a. Abläufe, Instrumente und den Ressourceneinsatz umfasst. Im technisch-instrumentellen System schlagen sich die Entscheidungen der Organisation nieder. Sie sind die „Hand“ der Organisation, der Ort der Umsetzung.
2. das soziale Subsystem, in dem Funktionen und Rollen, die Art und Weise der Kommunikation und Interaktion nach innen und außen gelebt werden. Hier ist das „Herz“ der Organisation.
3. das kulturelle Subsystem, in dem die Werte und Ziele, Haltungen und Einstellungen verortet sind – der „Geist“, aus dem heraus die Bildungseinrichtung lebt und arbeitet.

Im Prozess der Transformation werden alle drei Ebenen aufmerksam und ergebnisoffen betrachtet mit dem Ziel, die im Gesamtsystem verborgenen Ressourcen für – in unserem Fall – die BNE zu entdecken. Nachfolgende Grafik ist eine eigene Darstellung der Theorie U nach Scharmer.
>>> Grafik anklicken für eine große Ansicht

grafische Darstellung des TransformationsprozessesDer Weg zum Neuen führt immer durch das
gesamte U und kann nicht abgekürzt werden!

Anregungen zur Gestaltung der Schritte im Presencing-Prozess:

Schritt 1
Sie könnten mit der Frage beginnen: Wo stecken schon Ansätze von BNE in unserem Angebot oder in unserer Arbeitsweise?

Dazu können der >>> BNE Quickcheck pdf-Datei 209 KB oder die >>> Bestandsaufnahme anhand der 17 SDGs pdf-Datei 275 KB genutzt werden. Zielführend sind hier zwei Aspekte: Bearbeiten Sie die Fragen in einem Team, das möglichst viele verschiedene Perspektiven aufweist und achten Sie darauf, dass Sie so genau wie möglich beschreiben, wie das Angebot aussieht und wie es entsteht. Vermeiden Sie Bewertungen!

Schritt 2
Beschreiben Sie im Team und ohne Bewertung, wie die Zusammenarbeit und die Kommunikation bei der Entwicklung dieser Angebote organisiert ist und funktioniert. Bleiben Sie exakt bei der Realität – vermischen Sie noch keine Wunschvorstellungen oder Ideen damit!

Schritt 3
Beschreiben Sie die Philosophie, den Geist, die Leitsätze und Maximen, die handlungsleitend für die Beteiligten an diesen kleinen Pflänzchen sind. Achten Sie darauf, auch hier zu beschreiben und nicht zu bewerten!

Schritt 4
Dies ist die entscheidende Arbeitsphase! Versuchen Sie, die Werte, Haltungen, Leitorientierungen zu benennen, die zum Entstehen der von Ihnen in Schritt 1 identifizierten Ansätze von BNE beigetragen haben und fassen Sie diese in klare Worte.

Schritt 5
Ab jetzt geht es in die Phase, Neues zu entwickeln! Auf der Basis der formulierten Werte, Haltungen und Leitorientierungen entwickeln Sie Ideen, welche Angebote, Lernformate oder Aktivitäten Sie in Richtung BNE zukünftig stärker fokussieren und mit Energie implementieren wollen. Priorisieren Sie die Ideen und entscheiden Sie sich für einen ersten „Prototypen“. Durch ihn soll sichtbar werden, was Sie zukünftig mit Energie verfolgen und in die Welt bringen wollen. Lassen Sie sich durch die Handlungsfelder des grünen Kreises anregen, ihre Vorgehensweisen auf das Wesentliche zu fokussieren!

Schritt 6
Werten Sie die Erfahrung mit Ihrem Prototypen aus und entscheiden Sie danach, wie Sie die Rolle Ihrer Einrichtung im örtlichen Netzwerk sowie die interne Zusammenarbeit und Aufgabenverteilung etc. gestalten wollen. Hier können Sie sich durch das Handlungsfeld >>> Strukturmodelle in Einrichtungen der Erwachsenenbildung sowie das Handlungsfeld >>> Netzwerke und Kooperationen anregen lassen.

Schritt 7
Erst im letzten Schritt beschreiben Sie die zukünftig gültigen Prozesse und Abläufe, definieren Ressourcen und Instrumente, die Sie für die BNE einsetzen wollen.

 

Weitere Anregungen über die Gestaltung eines solchen Presencing-Prozesses finden Sie in der Handreichung des Deutschen Volkshochschulverbandes >>> „Bildung für nachhaltige Entwicklung an Volkshochschulen“.

 

Anregungen finden Sie auch in unserer BNE-Podcast-Reihe für die Erwachsenenbildung >>> Podcast-Episoden des PB Hessen.

 

 

 

Möchten Sie sich in einem kreativen Format mit dem Thema Bildung für nachhaltige Entwicklung auseinandersetzen? Dann nutzen Sie gerne unseren BNE-Simulationstag für Weiterbildungseinrichtungen. Auf der Seite PB Hessen BNE-Spezial (Baustein 18) finden Sie weiterführende Anregungen und konkrete Arbeitshilfen >>> BNE-Simulationstag.

 

 

Bedarfserschließung für BNE

Handlungsfeld

Den Bedarf der Bürgerinnen und Bürger
im Umfeld
erkennen und erschließen

Vor der Planung konkreter Bildungsangebote heißt die Aufgabe für die Pädagoginnen und Pädagogen: Bedarfserschließung. Der Lern- und Bildungsbedarf der Bürgerinnen und Bürger ist immer Ausgangspunkt für die Planung von Angeboten.

Gleich, um welches Thema es geht – hier um BNE-Bedarfserschließung  – es folgt eine doppelte Suchfrage: Was will wer lernen in Bezug auf nachhaltiges Handeln? Und: Welche Kompetenzen werden die Menschen zukünftig mehr als heute benötigen, um sich in die nachhaltige Weiterentwicklung der Gesellschaft – lokal und global – einzubringen?

Worüber nachdenken?

Der Prozess der Bedarfserschließung ist ein Schlüsselprozess in jeder Bildungseinrichtung. Wenn die Prozessschritte immer die gleichen sind, werden die erschlossenen Bedarfe sich immer ähneln. Den Unterschied macht die Ausgangsfrage: Was will wer lernen und was wird wer voraussichtlich in naher Zukunft bewältigen müssen? Wer kann darüber Auskunft geben? Gedanklicher Ausgangspunkt sind also die lernenden Personen sowie die gesamtgesellschaftlichen Veränderungen (Megatrends) – die programmplanerische Kunst in der Erwachsenenbildung besteht in der Verknüpfung von beidem.

Reflexionsfragen

  • Für welche Themen aus dem Spektrum der nachhaltigen Entwicklung brauchen Menschen Informationen, welche Probleme wollen sie lösen?
  • Für welche Lebenslagen und Verwendungszusammenhänge werden Lernbedürfnisse geäußert?
  • Wie müssen wir bei der Bedarfserschließung vorgehen, um diese wahrzunehmen? Wer kann über diesen Bedarf Auskunft erteilen?
  • Was können wir tun, um über diese Bedürfnisse, Lebenswelten, Milieus, Lebensstile im Kontext Nachhaltigkeit mehr zu erfahren?
  • Verfügen Sie über die Kompetenzen, dafür geeignete Lernangebote zu schaffen?
  • Welche Aspekte der 17 Nachhaltigkeitsziele sind Ihnen als Einrichtung besonders wichtig? Welche sind aufgrund Ihres Leitbildes besonders relevant?
  • Aus welchen gesellschaftlichen Entwicklungen resultiert die Notwendigkeit, geeignete Bildungsangebote zu entwickeln und die Adressaten dafür zu gewinnen?
  • Welcher Beitrag wird von Ihrer Einrichtung durch Geldgeber, die Kommune, Kooperationspartner, die Zivilgesellschaft zu einer nachhaltigen Gesellschaft erwartet?

Was tun?

Es empfiehlt sich zu analysieren, welche Angebote aus dem Spektrum nachhaltiger Themen bereits auf Nachfrage stoßen. Das können gute Ansätze sein, die weiter ausgebaut werden können. Es ist sinnvoll, nach Ansprechpartnern zu suchen, die Auskunft über die besondere Zielgruppen geben können. Wichtig ist es, ohne Vorannahmen auf die Suche zu gehen – mit offenen Augen!
Netzwerkpartner bilden eine Quelle für Bedarfe, weil sie aus anderen Perspektiven heraus auf potenziell Interessierte blicken.

“Wir sind einfach davon ausgegangen, dass wir in der Pandemie keine neuen Teilnehmenden bekommen haben. Die Zahlen sind ja insgesamt runtergegangen und auch danach unten geblieben. Erst als wir genauer hingeschaut haben, ist uns aufgefallen, dass zu bestimmten Formaten und bestimmten Themen einige Erstanmeldungen dabei waren. Und als wir noch genauer hingeschaut haben, wurde uns klar, das sind ökologische Themen, bei denen es um ein gutes nachhaltiges Leben geht. Oft waren es Veranstaltungen draußen mit vielen Aktivitäten. Da kamen ganze Familien. Die versuchen wir jetzt zu halten.“
(Leiter einer Volkshochschule)

Anregungen

Achten Sie darauf, wo sich etwas Neues zeigt. Das Verfahren des Presencing – und hier vor allem der Schritt 5: das „Ankünftige“ wahrnehmen und als Prototyp weiterentwickeln (siehe Basiswissen >>> BNE zur Aufgabe der Erwachsenenbildung machen) – ist geeignet, neue Ansätze, die sich bereits erkennen lassen, in den Fokus  zu rücken und weiter auszugestalten. Oft sind neue Ideen ja schon als zarte Pflänzchen in der Welt und wollen nur gepflegt werden!

Beziehen Sie Personen in den Prozess der Bedarfserschließung mit ein, die ein Auge für das Neue haben, die nah an den potenziell Interessierten sind (ähnlich wie bei der Leitbildentwicklung).